
Einer der medienwirksamsten Philosophen der Welt hat sich in der Corona-Krise zu Sex und Pornografie geäußert. Für die Veröffentlichung seines Essays zur Bedeutung von Sex zu Zeiten der Pandemie hat sich Žižek zwar eine etwas fragwürdige Publikation gewählt, langweilig aber ist der streitbare Philosoph nie.
Mitten im weltweiten Coronafieber veröffentlicht Slavoj Žižek einen Essay zu Sex und Pornografie auf der russischen Propagandaseite Russia Today. In dem Text »Can Covid-19 Remind Us that Sex Is an Important Channel for Spirituality« fragt sich der populäre Philosoph, ob uns die globale Krise Sexualität wieder als spirituelle Erfahrung erschließt.
In seinem Essay entwickelt er aus der politischen Vorschrift des Social Distancing die Möglichkeit für eine neue Nähe und ein bewussteres Sexleben: »Die COVID-19 Epidemie wird uns definitiv einen Schub im Bereich digitaler Sexspiele bescheren, aber hoffentlich auch zu einer neuen Wertschätzung körperlicher Intimität führen, und wir werden uns daran erinnern, dass Sex zwischen zwei Menschen eine Form von Spiritualität ist.«
Dies sei insbesondere deshalb wichtig, so Žižek, weil die Digitalisierung inzwischen dazu geführt habe, dass wie Studien zeigen, Teenager weniger Zeit mit der Entdeckung ihrer eigenen Körperlichkeit verbringen als mit dem Surfen im Internet.
Aufgrund der Medialisierung unserer Umwelt haben wir uns vom eigentlichen Wesen der Sexualität weit entfernt. Dies ginge so weit, dass die Forderung von Porno-Gegnern absurd sei, dass Onlinepornografie eine Lücke zwischen Realität und Fantasie entstehen lasse. Diese Lücke bestehe bereits und die Menschen versuchen sie, laut Žižek, mit Onlinepornografie zu schließen.
Als Beispiel verweist er auf Pornodarsteller, die sich, um ihre Erektion wiederzuerlangen, immer häufiger mit Onlinepornografie behelfen und seltener auf Fluffer zurückgreifen: »Ich verstehe Darsteller, die um ihre Erektion wiederzuerlangen, auf Pornhub suchen – sie suchen nach phantasmatischer Unterstützung der eigenen Leistung. Aus demselben Grund fragt ein Partner den anderen beim Geschlechtsverkehr, etwas zu sagen, meist etwas Schmutziges – obwohl doch die Sache selbst (der nackte Körper des geliebten Partners) direkt vor ihm liegt, diese Präsenz muss durch verbale Fantasterei ergänzt werden.«
Er ist also davon überzeugt, dass die Pandemie zunächst für eine Ausbreitung digitaler Sexualität sorgen wird, dass also körperlicher Kontakt zunächst abnimmt. Dennoch glaubt er, dass dabei eine neue Wertschätzung sexueller Intimität der Körper einsetzen wird. In den Worten Žižeks klingt das so: »(…) wir werden die Lektion Andrej Tarkovskys wieder erlernen, für den die Erde, eben ihre träge, feuchtwarme Materie nicht im Gegensatz zu Spiritualität steht, sondern ihr eigentliches Medium ist.«
Žižek mischt sich seit Jahrzehnten in zahlreiche öffentliche Debatten und liebt es zu provozieren. In zahlreichen Videos formuliert er mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik seine an allen postmodernen und psychoanalytischen Theorien geschulte Überlegungen zum Leben inmitten von Spätkapitalismus und Digitalisierung. Er ist Professor am Institut für Soziologie und Philosophie an der Universität Ljubljana, lehrt Deutsch an der New York University und leitet das Birkbeck Institute for the Humanities an der University of London. Auf Deutsch erscheinen seine Werke im renommierten Suhrkamp-Verlag. In Dokumentarfilmen wie »Žižek!« und »The Pervert’s Guide to…« konnte er sich ein großes, internationales Publikum erschließen.
Den Essay von Slavoj Žižek finden Sie hier. Seine deutschsprachigen Werke können Sie über die Webseite des Suhrkamp Verlags einsehen und bestellen.