
Während Sexarbeiter in aller Welt vor großen Schwierigkeiten stehen und sie vielfach von Hilfsprogrammen ausgeschlossen werden, könnte es in Kenia zu einer interessanten Sonderlösung kommen. Aktivisten fordern, Sexarbeit zu den systemrelevanten Berufen zu zählen.
Es zählt nicht umsonst als das älteste Gewerbe der Welt. Prostitution befriedigt Grundbedürfnisse und manche vermuten, dass sie systemstabilisierend wirkt. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und sexuelle Entfaltung gehört in vielen westlichen Gesellschaften längst zu den Grundrechten und die Wichtigkeit eines gesunden Sexuallebens wird von immer mehr Menschen selbstbewusst und wissenschaftlich fundiert vertreten. Eine Branche, die dies ermöglicht, als systemrelevant einzustufen, ist daher weniger weit hergeholt, als es manch einem Sittenwächter auf den ersten Blick scheint.
Dass Sexarbeit – ob legal oder illegal – stattfindet, ist ebenso eine bekannte Tatsache. Viele Staaten sind also zu dem Schluss gekommen, dass eine staatlich regulierte Form für alle Beteiligten die beste Lösung ist.
Ausgehend von diesen Überlegungen argumentieren Sexarbeiter in Kenia nun, ihre Branche vom Shutdown auszunehmen und als systemrelevante Dienstleistung anzuerkennen. Ein solcher Ansatz würde viele Probleme der Coronakrise lösen und wäre ein denkbares Vorbild für Gesellschaften weltweit. Die Tücke steckt natürlich im Detail, wie kann man Sexarbeit verantwortungsvoll zulassen, wenn körperliche Nähe Ansteckungsgefahren mit sich bringen und die konkrete Krankheit noch nicht völlig erforscht ist?
Die derzeitige Lage jedenfalls ist nicht nur in Kenia ein schwerwiegendes Problem. Sexarbeiter, die nicht in Bordellen arbeiten können, weichen in die Illegalität aus. Sie begeben sich damit in doppelte Gefahr und auch die Kunden gehen immense Risiken ein.
Nicht zu arbeiten aber, kann sich kaum ein Sexarbeiter leisten. Auch deshalb hat die UNO-Behörde UNAIDS an alle Regierungen appelliert, Sexarbeiter unbedingt in staatlichen Hilfsprogrammen zur Linderung der wirtschaftlichen Folgen staatlich verhängter Ausgangssperren und Betriebsschließungen zu berücksichtigen. Dies ist in aller Regel nämlich nicht geschehen. Über die Situation in Japan berichteten wir letzte Woche. Aber auch in Südafrika, Frankreich und den Vereinigten Staaten sind oftmals nicht nur Sexarbeiter, sondern die gesamte Erotikbranche von staatlichen Hilfsleistungen ausgenommen.
In Kenia sieht dies momentan ebenfalls noch schwierig aus. Am 13. März wurde dort der erste Corona-Fall verzeichnet. Kurz danach wurde auch in dem Staat ein Shutdown und Ausgangsbeschränkungen verhangen.
Sexarbeit hat in Kenia einen schwierigen, aber rechtlich unklaren Stand. Offiziell erlaubt ist Prostitution nicht, aber die genauen Gesetze und Handhabungen sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Die Interessenvertretung High Voice Afrika setzt sich nun für eine pragmatische Lösung des Problems ein, ohne Staatsmittel für Sexarbeiter einsetzen zu müssen. Die in Mombasa ansässige Gruppe fordert von der Regierung, Sexarbeit als systemrelevant einzustufen. Dann könnten Sexarbeiter wieder ihrer Arbeit nachgehen.
Maryline Laini ist Vorsitzende der Organisation und sagt im Interview: »Seit Beginn der Seuche haben wir Verluste erlitten. Die Schließung von Bars, Restaurants und Clubs infolge der Ausgangssperre hat 90 Prozent der Sexarbeiterinnen arbeitslos gemacht. Dies waren die Orte, an denen wir unser tägliches Brot verdienen konnten.«
Sexarbeiter verdienen in Mombasa relativ gut. 10.000 kenianische Schilling verdient eine Prostituierte pro Kunden. Das sind etwa 85 Euro und damit mehr als viele Sexarbeiterinnen in Deutschland von ihren Kunden nehmen können. Der Durchschnittsverdienst eines Arbeiters liegt in Kenia bei kaum 70 Euro im Monat. Allerdings gibt es auch Städte und Regionen in Kenia, in denen Sexarbeiter für weniger als einen Euro Kunden bedienen.
Neben der Einstufung als systemrelevante Branche fordert Laini auch, dass Sexarbeiter ins Hilfsmaßnahmenprogramm der Regierung aufgenommen werden müssen.
Dass es anders geht, zeigt man in Bangladesch. Dort bekamen die in den zwölf legalen Bordellen des Landes arbeitenden Prostituierten 25 Dollar und über 30 Kilo Reis als Soforthilfe. Auch in den kommenden Wochen sollen zumindest Nahrungsmittel als Hilfsleistung zur Verfügung gestellt werden.