Die Paten der Pornografie #07: Alison Boden, Kink.com

Alison Boden
Alison Boden steht seit einiger Zeit an der Spitze des Fetischstudios Kink.com. In einem Gespräch mit Vice spricht sie über das Geschäftsmodell ihres Unternehmens, Datensicherheit und den Einfluss von Zahlungsabwicklern auf die Produktionen von Pornostudios.

Der Gründer des legendären Pornostudios Kink.com, Peter Acworth, ist im Mai von seinem Posten als CEO des Unternehmens zurückgetreten. Seine Nachfolgerin ist Alison Boden, die zuvor bereits viele Jahre für Kink.com in der Technikabteilung tätig war.

Ein Vertreter des Unternehmens sagte zur Nachfolgeregelung: »Kink wurde immer schon durch starke Regisseurinnen und Mitarbeiterinnen geprägt.« Seiner Meinung nach wird Bodens technischer Hintergrund einen größeren Einfluss auf die Zukunft des Unternehmens haben als ihr Geschlecht.

Die 34-jährige Boden hat nie vor der Kamera agiert, war aber bereits in unterschiedlichen Funktionen in der Branche aktiv, als sie 2010 zu Kink.com stieß. Im Interview mit Vice spricht sie über ihre Zukunftsstrategie für den Fetischspezialisten und ihre eigenen Wurzeln in der Branche.

VICE: Sie haben bereits früh ein Sextoy-Unternehmen gegründet. Wie kam es dazu?
Alison Boden: Der 30. Jahrestag von Roe v. Wade [dem Urteil des US Supreme Court, das Abtreibung straffrei machte) war just in dem Augenblick, als wir im Januar 2003 loslegten. Ich bin in Pittsburgh, Pennsylvania aufgewachsen, und bei uns gab es Läden wie Good Vibrations oder Babeland nicht. Ein guter College-Freund von mir und ich, wir wünschten uns, dass Pittsburgh einen sexpositiven, frauenfreundlichen Sextoy-Laden bekommen würde, und in meinem letzten College-Jahr dachten wir uns: Nun, warum versuchen wir es nicht einfach selbst. Und wir versuchten es, erfolglos, die ganzen Prozesse durchzulaufen, um einen Ort für unseren Laden zu finden. Also machten wir Verkaufspartys.

Wie sahen die aus?
Wir fingen damit an, die sexuelle Gesundheit der Frau zu erklären. Es richtete sich also an jeden, ob nun an eine erfahrene Masturbatorin wie auch an Frauen, die nicht wussten, wo ihre Klitoris ist. Die Leute konnten uns sozusagen in die Richtung schieben, wo sie hin wollten. Dann erklärten wir einige Toys, die wir in einem Koffer dabei hatten und sagten: Okay, wenn ihr das mögt, könnte auch dies funktionieren, und dann haben wir dazu Fragen beantwortet. Die Menschen haben ganz einfach viele Fragen, wenn man vor ihnen eine Schachtel mit Sextoys aufmacht.

Wie hast Du Dich darauf vorbereitet, all diese Fragen zu beantworten?
Ich hatte eine Ausbildung als Berater für sexuelle Gesundheit und hatte viel als Freiwillige für Planned Parenthood gearbeitet. Das war so ziemlich alles, wofür ich mich interessiert habe … Warum auch immer … ich war das Kind, das in die Bibliothek ging, sich ans Fenster setzte und Sexbücher las.

Es gibt diese Redensart: wenn man etwas umsonst bekommt, ist man selbst das Produkt. Gibt es einen Vorteil, wenn man abobasierte Webseiten wie eure kauft, da das Unternehmen nicht von Werbekunden abhängig ist?
Ich habe eine klare Meinung zu extreme Formen des zielgruppenbasierten Datensammelns … Als ehemalige Leiterin der Technikabteilung und als politische Person bin ich stark auf Seiten der Freiheit und des Datenschutzes – ich bin Mitglied der EFF (Electronic Frontier Foundation). Wir respektieren die Privatheit unserer Kunden so sehr es irgend möglich ist. Selbst wenn man uns bezahlt, sammeln wir keine Vor- oder Nachnamen oder Adressen. Es gibt für Menschen reale Konsequenzen in dieser Welt, wenn andere Menschen herausfinden, welche Arten von Erwachsenenunterhaltung einem gefallen.

Wir überprüfen natürlich IPs, um Betrug entgegenzuwirken. Wenn man also einen Account hat, der von 30 unterschiedlichen IPs aus zugreift, handelt es sich vermutlich um betrügerische Aktivitäten. Wir wollen die Accounts unserer Mitglieder schützen, aber nein, wir wollen nicht wissen, wer sie im realen Leben sind oder welche Interessen sie auf Facebook haben.

Geschieht das auf anderen Webseiten?
Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich weiß, dass sie mehr Daten als wir sammeln.  Insbesondere im Hinblick auf die neuen Datenschutzverordnungen haben wir uns genau angesehen: Ok, gibt es etwas, das wir speichern, das wir nicht behalten sollten? Und wir haben dabei einige Daten herausgelöst und weggeschmissen. Wir haben sie einfach gelöscht. Wir wollen die nicht mehr. Denn warum sollten wir uns oder unsere Mitglieder in eine solche Situation bringen? Stellen wir uns vor, wir wären Ashley Madison und man würde uns hacken. Wir begeben uns nicht mal in die Position, dass unsere Kunden auf diese Weise verletzlich werden.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Pornoproduktion aus, da nun Tubeseiten wie Pornhub oder Redtube so viel potentielle Kunden abgraben?
Raubkopien sind beschissen. Ich glaube, wenn man mich das vor zehn Jahren gefragt hätte, als die Tubseiten noch völlig rechtlos agierten und gerade anfingen, da war das ein noch viel größeres Problem. Als Branche muss man sagen, dass diejenigen, die bis heute durchgehalten haben, Wege gefunden haben, mit ihnen zusammenzuarbeiten oder um Raubkopien herumnavigiert sind.

Wie sich herausgestellt hat, haben die den ganzen Traffic … Wenn man also dort wirbt oder seine Inhalte auf Pornhub sieht, dann ist das gewiss nicht der vollständige Inhalt. Die Leute kriegen aber eine Idee davon. Das ist irgendwie toll, davon will ich mehr sehen. Wo findet man Inhalte, die wirklich genauso gut sind? Klick dich zu Kink. So arbeitet man mit denen.

Ich glaube, dass einer der Gründe, weshalb Kink so lange durchgehalten hat und dabei so stark geblieben ist, eben der Fakt ist, dass wir Nischen bedienen. Wenn man einfach nur Inhalte macht, à la Blondine-wird-in-einem-Hotelzimmer-anal-gefickt, dann gibt es da sehr viel Konkurrenz.

Da euer Unternehmen nun den Übergang von einem produktionsbasierten Geschäftsmodell zu einem auf Distribution ausgerichteten Unternehmen vollzogen hat und keine eigenen Pornos mehr produziert, wie lange glauben Sie, dass das Kink-Gefühl erhalten bleiben kann?
Ich glaube, dass wir die Möglichkeit haben, Kink als Ort für Fetisch- und BDSM-Inhalte zu erhalten, ganz gleich, ob wir die Inhalte selbst produzieren oder nicht. Wir können definitiv neue Talente hervorheben, und ich glaube, dass wir in der Zukunft versuchen werden, Leute zu unterstützen, die den Inhalt produzieren, nicht nur die Leute, die darin mitwirken. Ich finde, es bietet sich an, den Leuten beizubringen, wie man Seile und Haken benutzt, wie man das sicher anwendet. Das ist gewiss eine wirkliche Fähigkeit, die man lernen und üben muss.

Die Leute, die für uns Regie führen, sind unsere bevorzugten Provider. Wir sagen da: Wir werden weiter mit Dir arbeiten und Dich weiter unter Vertrag nehmen, solange Du großartige Dinge produzierst. Wir haben ein Team mit fünf Vollzeit-Editoren, die Videos bearbeiten können … und wenn wir Rohmaterialien bekommen, hilft uns das wirklich, unsere Qualität zu kontrollieren und das, was geschieht, zu beaufsichtigen.

Wonach haltet ihr Ausschau?
Wir wollen nichts, was wir auch an eigenen Sets nicht gewollt haben. Wir wollen auch keine Vorfälle wie an dem Set mit Leigh Raven. Wenn das Wohlbefinden der Darsteller nicht überprüft wird oder wenn jemand offensichtlich Probleme hat, werden wir definitiv zum Hörer greifen und das den Regisseur wissen lassen. Hey, das war falsch, und das darf nicht wieder vorkommen. Und natürlich gibt es da immer das, wonach man immer bei Pornos schaut. Es darf kein Blut oder sowas geben – wenn jemand Nasenbluten bekommt, muss das rausgeschnitten werden.

Sind das rechtliche Restriktionen oder eure eigenen Standards?
Die meisten Regularien bezüglich des Inhalts kommen nicht vom Staat, sie stammen letztlich von den Kreditkartenunternehmen. Visa wickelt keine Zahlungen ab, wenn die unsere Inhalte nicht mögen, das macht es manchmal natürlich sehr willkürlich, da sie keine klaren Regeln veröffentlichen. Es ist sehr subjektiv. Wir kriegen dann mitgeteilt: Hey, die mögen das nicht, das müsst ihr runternehmen. Es ist häufiger der Fall, dass eine Beschreibung zu einem Video bemängelt wird, als dass bestimmte Dinge in den Filmen selbst bemängelt werden. Ich habe zwar schon echte Beschwerden gegen Inhalte gehört, aber das ist seltener. Aber ja, wer ist das, der sich da zur Bewertung aufschwingt … ein Pornogutachter?

Fetische können rasch den Punkt erreichen, den Menschen problematisch finden, sei es nun Interracial Szenen oder auch Age Play. Wie bringt ihr das mit dem Ziel der Entstigmatisierung von Pornografie insgesamt überein?
Das ist ein schmaler Grat. Ich glaube, dass unsere Herangehensweise ist, einen Schritt zurückzutreten und uns zu fragen: Okay, machen wir das, weil wir gedankenlos und respektlos sind oder machen wir das, um eine Fantasie zu bedienen? Und grundsätzlich geht es darum, im Vorfeld bedacht vorzugehen. Wenn jemand Interracial-Szenen machen will, dann ist das okay, das ist deren Fantasie. Legen wir los. Die Frau von einem sehr guten Freund von mir ist weiß, er ist schwarz. Er hat meist weiße Frauen als Partnerinnen, und er sagt: Wenn ich mir Pornos anschaue, will ich mich mit der Fantasie identifizieren, also nutze ich »interracial« als Suchwort, weil das der einzige Weg ist, diese Inhalte zu finden.

Für manche Menschen ist das Gefühl, dass etwas verboten oder subversiv ist, der eigentliche Reiz an einer Sache. Töten Sie nicht Ihren eigenen Markt, wenn Kink abwegige Bedürfnisse normalisiert? Wird der Fetisch dann nicht weniger reizvoll?
Sie fragen im Grunde all die Fragen, die ich mir in den letzten Monaten selbst stellen musste – bedeutet Entstigmatisierung, dass etwas nicht mehr sexy ist? Was mir klar wurde, ist, dass wir nicht sagen wollen, X, Y, Z ist schmutzig oder nicht schmutzig. Diese Entscheidung liegt bei einem selbst. Was wir wollen, ist, dass die Menschen frei sind, jedweden Fetisch auszuleben, den sie genießen, mit der Prämisse natürlich, dass dabei niemand verletzt wird. Die Menschen sollten nicht dafür bestraft werden, Interessen zu hegen, die von ihren Nachbarn oder ihrem Chef nicht geteilt werden. Das können wir aber nicht in allen Fällen leisten. Nehmen wir einen Windelfetisch zum Beispiel, den können wir nicht bedienen, weil wir es nicht dürfen.

Visa würde euch anrufen.
Ja. Ich erinnere mich daran, bei Dan Savage und in Zuschriften gelesen zu haben, dass sie einen Windelfetisch haben, und das hat mich sehr berührt, wie sehr die Menschen nach Nähe suchen und das Gefühl haben wollen, dass ihre Interessen in der Gesellschaft gespiegelt werden. In dieser Hinsicht also haben wir nicht die Macht, etwas unsexy zu machen, ich glaube, dass wir im Wesentlichen die Möglichkeit haben, dafür zu sorgen, dass Menschen sich weniger alleine fühlen.

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