
Viel Lärm um nichts? Das ursprünglich am 15. Juli in Kraft tretende Gesetz zur verpflichtenden Altersüberprüfung für Angebote ab 18 wird in Großbritannien nun doch vertagt. Das Land hatte aufgrund des Brexit-Chaos vergessen, die EU angemessen zu informieren. Kippt das Gesetz nun völlig?
Ursprünglich war geplant, dass das von Datenschützern und Teilen der Erotikbranche stark kritisierte Gesetz zur Altersverifikation Mitte nächsten Monats vollumfänglich in Kraft tritt. Von da an hätten alle Porno- und Erotikanbieter im Netz eine umfangreiche Altersprüfung vor ihre Inhalte schalten müssen. Befürworter des Gesetzes sahen darin lediglich die überfällige Durchsetzung von geltendem Recht im Onlinebereich.
Nun aber soll das umstrittene Gesetz auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt werden. Während viele kleinere Pornostudios und Plattformen nun vielleicht aufatmen, dürfte das viele Anbieter von Softwarelösungen für Altersverifikationen im Netz in Schwierigkeiten bringen. Schließlich hoffte man auf satte Umsätze, der weltweit agierende Pornokonzern Mindgeek hatte sich mit einer eigenen Lösung in Position gebracht und vermutlich gehofft, seine Vormachtstellung im Adult Entertainment weiter ausbauen zu können. Nun steht alles wieder auf dem Prüfstand.
Verschiebung aufgrund versäumter Meldung an EU-Kommission
Der britische Fernsehsender Sky berichtete als Erstes über die Verschiebung aus rechtlichen Gründen. Die britische Regierung hatte versäumt, die Europäische Kommission über Details des neuen Gesetzes zu informieren – wahrscheinlich weil man im Chaos der Brexit-Verschiebungen und der stürzenden Premierministerin Theresa May – schlicht übersehen hatte, dass dies noch erforderlich ist. Schließlich wollte Großbritannien bereits vor Monaten aus der EU ausgetreten sein.
Die Kommunikation mit der EU dürfte insgesamt derzeit vollkommen auf Eis liegen, schließlich sind die Briten derzeit gänzlich mit sich selbst beschäftigt. Das ganze Land schaut voller Spannung auf die parteiinternen Zwistigkeiten der derzeitigen Regierungspartei, den konservativen Tories. Nach dem erzwungenen Rückzug Theresa May tobt ein erbitterter Machtkampf um ihre Nachfolge unter den in Umfragen zuletzt massiv abgestürzten Tories, die nichts so sehr fürchten dürften wie Neuwahlen.
Statement des Kultusministers: Mindestens sechs Monate Verzögerung
Kultusminister, Jeremy Wright, hat heute im House of Commons ein Statement zu dem Thema abgegeben und erklärt, warum er davon ausgeht, dass das Inkrafttreten des Gesetzes mindestens um sechs Monate und damit bis 2020 verschoben werden muss. Auf die Frage der Abgeordneten Diana Johnson, ob es Möglichkeiten der Beschleunigung gebe, winkte Wright freundlich ab: »Wir müssen nun an die Europäische Kommission herantreten. Die Regeln der Direktive besagen, dass es eine dreimonatige Stillstandsphase geben muss, nachdem wir die Maßnahmen sachgemäß an die Kommission weitergeleitet haben. Wenn die Kommission sich das Thema detaillierter anschauen will, und ich hoffe, dass sie das bei diesem Thema nicht tun, dann käme es zu einem weiteren Monat des Stillstands, bevor wir das weiterbetreiben können. Das wären vier Monate. Die Dinge kommen dann zurück ins House.« Dann könnten erneut 40 Tage lang Einsprüche geltend gemacht werden, so Wright. »Wenn man das alles zusammenzählt, kommt man auf etwa sechs Monate.« Etwas resigniert fügt er hinzu: »Wenn es schneller ginge, würden wir es tun.«
Endgültige Entscheidung wird von Theresa Mays Nachfolger getroffen
Es ist kaum damit zu rechnen, dass vor der Klärung der Machtfrage ein Detail wie die Altersverifikation abschließend geklärt wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Boris Johnson das Rennen um Mays Nachfolge machen und als nächster Premierminister des Krisenstaates über das weitere Vorgehen in dieser Frage entscheiden. Zuvor aber dürfte der Brexit ein weitaus wichtigerer Punkt in der Agenda des neuen Premiers werden. Wie auch immer er heißen wird.
Offenbar war die bisherige Software ohnehin nicht wirklich überzeugend. Der Guardian konnte in einem Test vorführen, dass es möglich war, die Altersverifikation innerhalb weniger Minuten auszutricksen. Neben den grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Fragen stellt sich auch weiterhin die Frage, wie die Briten künftig mit Portalen und Webangeboten umgehen wollen, die nicht hauptsächlich Adult Entertainment anbieten, diese Inhalte aber nicht regulieren. Mit anderen Worten war vollkommen unklar, was mit Reddit, Imgur und Twitter geschieht, wenn das Gesetz in Großbritannien in seiner jetzigen Form in Kraft tritt.
Wie schon beim Brexit versuchen die Briten offenbar weiterhin die Augen vor den komplexen Fakten zu verschließen, die Digitalisierung und Globalisierung stellen.