Boris Johnson will Twitter und Reddit zensieren

Boris Johnson having tea

Während verschiedene Versuche in Großbritannien zur Einführung einer verpflichtenden Alterskontrolle für Erwachseneninhalte im Internet mehrfach an rechtlichen Hürden gescheitert sind, versucht es die britische Regierung erneut mit einem Zensurvorstoß. Diesmal geht es gegen Twitter und Reddit. Die beiden Anbieter sollen Systeme einführen, die die Entfernung von Ü-18-Material in Großbritannien möglich machen oder verlässliche Alterskontrollen durchführen.

Seit Jahren versucht die konservative Regierung in Großbritannien unter dem Deckmantel des Jugendschutzes gegen Onlinepornografie vorzugehen. Restriktive Gesetzesvorhaben bezüglicher einer verpflichtenden Alterskontrolle für Webseiten bzw. eine funktionierender Filter gegen Erwachseneninhalte sind bereits mehrfach rechtlich gescheitert. Nun soll mit einem neuen Vorstoß gegen Portale vorgegangen werden, die die letzten Bastionen eines freien Internets darstellen, indem freie Meinungsäußerung noch Vorfahrt hat: Twitter und Reddit.

Branchenvertreter aber auch bürgerrechtliche Kritiker der Zensurvorhaben verweisen zunehmend alarmiert auf den steigenden Einfluss von religiös motivierten NGOs und Lobbygruppen, die die Ängste von Eltern dazu missbrauchen, um ihre rückschrittlichen Vorstellungen bezüglich Sexualität wieder mehrheitsfähig zu machen. Besonders erfolgreich in diesem Feldzug gegen Pornografie und selbstbestimmte Sexualität sind dabei die Gruppen NCOSE und Exodus Cry. Gerade letzterer gelingt es immer wieder, die Meinungsseiten und Berichterstattung führender Zeitungen wie der NY Times und The Guardian zu unterwandern und falsch zu informieren.

Sexarbeiter und Bürgerrechtlicher betonen immer wieder, dass eine verpflichtende Altersüberprüfung auf allen Webseite, die sexuelle Inhalte enthalten oder auf sie verweisen, in der Praxis zu einer ernsthaften Bedrohung von Meinungsfreiheit werden kann. Auch die LGBTQ+-Bewegung und die Möglichkeiten von Sexarbeitern, ihre Inhalte zu vermarkten und ihren Lebensunterhalt zu verdienen, würden dadurch ernsthaft gefährdet. Sex würde wieder in ein halbverbotenes Schattenreich zurückgedrängt, gesellschaftliche Fortschritte rückgängig gemacht und die Gesundheit Millionen von Menschen gefährdet.

Da Sexarbeiterinnen auf Plattformen wie Facebook, Instagram und YouTube stigmatisiert und diskriminiert werden, sind Twitter und Reddit derzeit zwei der wenigen Online-Plattformen von echter Bedeutung, die Inhalte für Erwachsene tolerieren. Sie bieten Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern auch die Möglichkeit, ihre Konten auf Premium-Fanplattformen wie OnlyFans zu bewerben – eine Möglichkeit, die für Einkommen und Lebensunterhalt von entscheidender Bedeutung geworden ist.

Währenddessen kann die rückschrittliche Anti-Porn-Bewegung immer größere Erfolge erringen und unterwandert zahlreiche Redaktionen und Bewegungen, um das öffentliche Bild von Pornografie, Sexarbeit und freier Sexualität negativ zu beeinflussen.

Da Politiker sich des Zuspruchs besorgter Eltern stets gewiss sein können, nimmt es kaum Wunder, dass der zunehmend in der Kritik stehende Premier Großbritanniens, Boris Johnson, als Ablenkung von seinen eigenen Krisen und Affären das Thema dankbar aufgriff.

In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Regierungskrise kündigte Johnsons Digitalminister Chris Philp am 7. Februar an, dass die Regierung Johnson Pläne wieder aufgegriffen habe, »pornografische Websites zu Alterskontrollen zu verpflichten, bei denen britische Nutzer Daten wie Kreditkarten- oder Ausweisdaten angeben müssen, um zu beweisen, dass sie über 18 Jahre alt sind«, so The Guardian.

Philp sagte: »Eltern haben ein Recht auf die Gewissheit, dass ihre Kinder online vor Dingen geschützt sind, die kein Kind je sehen sollte. Wir verschärfen jetzt das Gesetz zur Online-Sicherheit, sodass es für alle Pornoseiten gilt, wir tun dies, um sicherzustellen, dass wir unser Ziel erreichen, das Internet zu einem sichereren Ort für Kinder zu machen.«

Selbst dem zunehmend pornofeindlichen Guardian ist inzwischen klar, was solche Gesetze für die freie Meinungsäußerung und das freie Internet bedeuten und dass es sich bei dem erneuen Zensurbestreben um ein schlichtes Ablenkungsmanöver handelt. Darüber hinaus wirft das Gesetzesvorhaben zahlreiche datenschutzrechtliche Fragen auf.

So wird auch Jim Killock, Vorstand der Bürgerrechtsbewegung Open Rights, mit den Worten zitiert: »Es gibt keinerlei Hinweis, dass bei diesem Vorhaben die Menschen davor geschützt werden, dass ihr Pornokonsum getrackt und Nutzerprofile angelegt werden. Wir müssen davon ausgehen, dass dieselben grundsätzlichen Fehler, die bei der Datensicherheit im Netz bisher gemacht wurden, auch in diesem Fall weiterbestehen.«

Der Datenschutzaktivist Mark Johnson von Big Brother Watch meldet ebenfalls ernste Bedenken an. Für ihn stellt das Vorhaben einen ersten Schritt in Richtung eines ID-Systems für das gesamte Internet dar. Der Überwachung der Menschen wären keinerlei Riegel mehr vorgeschoben.

»Das Gesetz zur Onlinesicherheit ist ein klarer Versuch, das Internet per Altersbeschränkung zu überwachen. Die neue Ankündigung könnte zu einem ID-System für das Netz als Ganzes werden, sogar für Seiten wie Twitter. Das wäre katastrophal für die freie Meinungsäußerung und den Schutz der Privatsphäre und würde unweigerlich zu digitaler Exklusion von Menschen führen.«

Die Regierung bestreitet solche Effekte des Gesetzesvorhabens. Es spricht allerdings Bände, dass auch Anti-Porno-Gruppen wie Evangelical Focus Europe das Vorhaben umfänglich unterstützen. Auch die christliche Organisation CARE äußert sich wohlwollend zum Zensurbestreben: »Altersverifikation auf Pornoseiten hätte es schon seit Jahren geben müssen. Zehntausende Kinder sind so Pornoangeboten ausgesetzt gewesen. Eine gerechte Gesellschaft lässt so etwas nicht zu, und es ist gut, dass die Regierung unsere Kampagne endlich anerkennt.«

Es bleibt abzuwarten, ob das Gesetz in seiner jetzigen Form durchkommt und ob die Regierung Johnson noch lange genug im Amt bleibt. EU-Recht jedenfalls kann die Bürger Großbritanniens nicht mehr vor der Bevormundung durch ihren Staat schützen, da das Land durch den Brexit an EU-Vorgaben nicht mehr gebunden ist.

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