Den Dildo kauft man online

Der Erotikhandel befindet sich in einem drastischen Wandel - auch in der Schweiz. Junge Unternehmen mischen die Szene auf, während die Pioniere den Schritt ins Onlinebusiness verschlafen haben.

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Tagblatt.ch berichtet: „Anfang April musste Patrik Stöckli, Gründer der Erotik-Markt-Kette, der mit dem Verkauf von Sexspielzeug, -filmen und erotischen Dessous Multimillionär geworden ist, die Schliessung von sechs seiner schweizweit 14 Filialen bekanntgeben.

Der Umsatz in den Sexshops sei in den letzten zehn Jahren immer mehr weggebrochen und habe sich über diese Zeit halbiert. Die Kosten hätten sich aber nicht halbiert, so Stöckli.
Die Rechnung ging nicht mehr auf. Schuld an den Verkaufsrückgängen ist, wie generell im Detailhandel, das Internet. Vor allem das Geschäft mit Erotik-DVDs ist zusammengebrochen, seit Sexfilme – oft gratis – einfach gestreamt werden können.

Aber auch die Preise von Sextoys und neckischer Unterwäsche sind online tiefer als in den Läden. Warum also noch ins Auto steigen und zu einer Filiale fahren? Vor Ort könne man die Produkte eben «vor dem Kauf noch in die Hand nehmen, fühlen und riechen», heisst es auf der Erotik-Markt-Website. Nur dort erhalte der Kunde noch die diskrete, persönliche Beratung durch das Fachpersonal. Fazit des Shops: «Diesen Komfort kann der Onlinehandel nicht bieten.»

Schamgefühl als Hürde

Dem widerspricht Onlinehandels-Experte Gregor Westerhold von der E-Commerce-Beratungsfirma Carpathia: «Inzwischen gibt es bei zahlreichen Erotikanbietern im Internet große Communities, also viele Kommentare von Kunden zu Produkten. Jeder kann online einen Testbericht verfassen und damit seine Erfahrungen teilen. Die Kunden tauschen sich aus – „das scheint ein großer Nutzen zu sein und einen höheren Stellenwert zu genießen als eine direkte Beratung“. Der geneigte Kunde frage sich also zu Recht, wozu er noch in den Sexshop soll. Das Verkaufspersonal habe ja kaum jeden Artikel persönlich getestet, sondern eher einfach die Beschreibung auf der Verpackung gelesen. „Kommt dazu: Im Laden begleitet mich möglicherweise noch ein Schamgefühl“, so Westerhold weiter. Und merkt an, dass es noch heute so sei, dass viele Leute extra in einen anderen Kanton fahren, um im Sexshop ja nicht einem Bekannten über den Weg zu laufen. Gerade dieses Schamgefühl sei ein wichtiger Punkt, der für das Internet spreche. Dort könnten die „heißen“ Spielzeuge anonym bestellt und, sofern die Verpackung nicht geöffnet wurde, wieder zurückgeschickt werden.

Ein neues Erscheinungsbild

Den neuen Erotik-Webshops sei es außerdem gelungen, aus der Schmuddelecke zu kommen, sagt Westerhold. In der Tat: Webseiten wie Amorana.ch, Amorelie.ch, Magic-x.com, Kisskiss.ch oder Sextoysuisse.ch sind übersichtlich und stehen von ihrer modernen Aufmachung her weit verbreiteten Onlineshops anderer Branchen in nichts nach.

Viel Weiß und Pastellfarben anstatt Schwarz-Rot. Amorana.ch konzentriert sich beispielsweise auf Luxus und Design-Sexspielzeug. Die Toys sollen zum Life­styleprodukt von Frauen und Männern zwischen 25 und 45 Jahren werden. «Das ist ein krasser Kontrast zu den mit Cellophan verdunkelten Läden früher», sagt Westerhold. Und der Erfolg gibt den neuen „Jungen“ recht: Bei Amorana.ch steigt der Umsatz seit der Gründung 2014 laut „Bilanz“ jährlich um 50%.

Und auch das deutsche Pendant Amorelie.ch, 2012 gegründet, ist auf rasantem Wachstumskurs. Jährlich bis zu 150% soll die Firma wachsen – auch dank des «50-Shades-of-Grey»-Effekts. Die Erotikromanreihe und deren Verfilmung brachten den Sex-Start-ups zusätzlichen Schub; so waren beispielsweise die im Buch beschriebenen Liebeskugeln über Monate ausverkauft. Die Erotik-Markt-Kette betreibt ebenfalls einen Onlineshop. Doch die Onlineverkäufe machen nur einen geringen Anteil am Gesamtumsatz aus.

Erotikbranche als Hidden Champion

Dass zahlreiche gestandene Erotikunternehmen – etwa auch die deutsche Sex-Pionierin Beate Uhse – den Einstieg ins Onlinebusiness verschlafen haben und von jungen Webshops überholt wurden, sei eigentlich paradox, sagt Gregor Westerhold. «Die Branche war aufgrund der von den Kunden gewünschten Anonymität geradezu prädestiniert für den Schritt ins Onlinegeschäft. Hätte es das Internet nicht schon gegeben, der Erotikhandel hätte es wohl erfunden», sagt der Experte.

Zahlen zum Schweizer Erotikmarkt – online und stationär – gibt es nicht von einheitlicher Stelle. Die Shops und Ladenketten sind nicht börsennotiert. Es ist also unbekannt, wie viel pro Jahr exakt umgesetzt wird und wer die Nase vorn hat. Man wisse wenig, gibt auch Westerhold zu, «doch was wir wissen: In dieser Branche werden enorm viele Käufe abgewickelt. Sie ist ein Hidden Champion, eine relativ unbekannte Branche mit hohen Umsätzen und grossem Potenzial» (siehe auch Grafik).

Viele Konsumenten entscheiden je nach Situation, wo sie Erotikartikel kaufen. Ob dies in Zukunft überhaupt noch in altbekannten Sexläden der Fall sein wird, bezweifelt inzwischen selbst Erotik-Markt-Chef Stöckli: Es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis auch die momentan noch rentablen acht restlichen Filialen schließen müssten.“

überLivio Brandenberg
QuelleTagblatt.ch

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